Samstag, 26.09.2015. Hundeterror mit José. Das Wetter ist gut und somit treffe ich mich mit Sercan, den Zwillingen und Vasilis in der Stadt. Vasili ist Erstsemeserstudent aus Griechenland an der TUC in Chania und auch relativ neu hier. Wir beschließen kurzerhand das archäologische Museum aufzusuchen. Glücklicherweise ist irgendein Nationalfeiertag, weswegen der Eintritt heute sogar kostenlos ist. Ausgestellt sind Vasen, Schwerter, Schmuck, Statuen und Mosaike. Die meisten Fundstücke stammen aus Chania und sind mehr als 2000 Jahre alt. Vasili hat eine gute Geschichtskentniss und gibt uns ein paar Erklärungen zum einen oder anderen Fundstück.
Nach dem Museum stehen wir ziemlich lange neben der alten Moschee rum und warten. Auf was? Sercan meint er würde einen Freund treffen. Doch der Rest von uns ist etwas verwirrt darüber, welchen Freund Sercan denn meint. Wir sind nicht nur verwirrt sondern auch hungrig und in Badelaune. Nach einer halben Stunde steht dann plötzlich ein großer Typ mit krassem Bart vor uns. Sein Name ist José und er kommt aus Chile. Außerdem spricht er sehr gut griechisch, was daran liegt, dass er schonmal länger in Griechenland war und dann unbedingt die Sprache lernen wollte. Er wird die nächste Zeit bei Sercan wohnen, da er noch keine andere Wohnung gefunden hat und Sercan ein Sofa frei hat. Kennengelernt haben sich die beiden in Facebook. Anschließend gehen wir gemeinsam Pita essen und an den Strand. Hier treiben sich wie überall ein paar Straßenhunde herum. Niemanden stört das weiter, da die eigentlich friedlich sind. Doch dann plötzlich kommt einer an und beißt an Josés Hose herum. Während er merkt, wie sich die Zähne des Köters langsam seinem Bein unter der Hose nähern, bleibt nur noch ein Schlag um sich aus der Situation zu befreien. Der Hund rennt von dannen und José sieht etwas geschockt aus. Verständlich. Verletzt wurde er nicht, seine Hose hat jetzt einen waste-look. Und für alle PETA-Fanatiker: Der Hund wurde auch nicht verletzt, soweit ich das beurteilen kann.
Sonntag, 27.09.2015. Balos Lagune. Heute wollen wir nach Balos fahren und baden gehen. Die Balos Lagune liegt im Nordwesten der Insel und verspricht einen atemberaubenden Panoramablick. Außerdem ist das Wetter gut und bevor der Winter kommt könnte es für einen Badeausflug nicht mehr so viele Gelegenheiten geben. Doch wie kommt man da hin? Wir wagen uns direkt auf die Straße und mieten uns ein Auto. Da wir acht Personen sind, nehmen wir den Minibus. 90 Euro kostet der Wagen, doch wer soll ihn fahren? Man muss mindestens 23 sein und eine gewisse Zeit lang seinen Führerschein besitzen. Ich erfülle direkt alle Vorraussetzungen und gebe noch zum Besten, dass ich ja nur wenige Wochen zuvor meine Kommilitonen und mich mit einem ähnlichen Minibus von Dresden in die Alpen und zurückgefahren habe. Und alle sind noch am Leben! Andrej und Peter sind neben Sercan, Patrycja, Dominika, Vasilis, José und mir diesmal noch mit am Start. Die beiden kommen aus der Slovakei.
Das Auto lässt sich schnell aus der Stadt hinaus manövrieren und auf die Autobahn bringen. Jene Autobahn besitzt jeweils eine Spur in jede Richtung und große Standstreifen. Daraus folgt, dass die Standstreifen nicht zum Stehen sondern auch als normale Fahrspur benutzt werden. So kommt es also, dass die Autobahn zwei Spuren in jede Richtung hat und somit einen sehr flüssigen Verkehr erlaubt. Ich traue mich jedoch nicht so richtig auf den Standstreifen, da hier doch hin und wieder ein paar Steinbrocken liegen. Kein Problem für die anderen Griechen, die überholen mich einfach auf der Gegenspur.
Die Frau, bei der wir den Wagen geliehen haben, erzählte uns, dass wir eigentlich nicht mit dem Auto nach Balos fahren können, da die Straße nicht asphaltiert ist. Ja sie verbietet uns sogar gänzlich diese Straße zu benutzen. Doch es gibt einen Parkplatz von dem aus man ca. 2 Stunden laufen muss. Als wir an die vermeintliche nicht asphaltierte Straße kommen, wird uns klar was die Frau meinte. Für einen Jeep ist die Strecke ein Kinderspiel, doch für uns? ... für uns auch, beschließen wir und nehmen den holprigen Parkour im Schneckentempo. Nach insgesamt 1,5 Stunden Fahrt erreichen wir unser Ziel und stellen uns in eine Schlange parkender Autos. Der Weg hinab zur Lagune ist nur noch ein Katzensprung und der nächste Sprung ist auch schon der Sprung ins Wasser. Die Lagune ist wunderschön doch entgegen unserer Erwartungen findet man hier kaum Sandstrand vor. Alles ist felsig und erst im tieferen Wasser hat man Sand unter den Füßen, falls man dann noch stehen kann. Wir erkunden noch eine kleine Höhle, die vom Strand aus gut sichtbar in einiger Höhe im Berg zu sehen ist und genießen die Aussicht.
Die Lagune ist absolut sehenswert aber ich denke ein Abstecher dorthin ist völlig ausreichend.
Die nächste Woche. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Diese Woche läuft etwas routinierter ab. Tagsüber begebe ich mich meist in die Universität und Abends treffen wir uns im Hafen und hängen ab. Am Montag höre ich mir direkt zwei Vorlesungen in griechisch an. Ja, alle meine Vorlesungen sind in griechisch. Gewusst habe ich das vorher nicht, eine leise Vorahnung war jedoch da. Die Einführung in die Umweltwissenschaften ist anhand der vielbebilderten Folien leicht verständlich, die Thermodynamik-Vorlesungen auf Grund der nicht vorhandenen Folien eher nicht. Dennoch versuche ich das Tafelbild akribisch genau auf mein Papier zu übernehmen. Der Professor bietet mir hinterher an ein englisches Buch durchzuarbeiten und am Ende des Semesters darüber einen Test zu schreiben. Klingt annehmbar! Ich treffe mich außerdem noch mit Prof. Venieri zu einer Ökologie-Privatvorlesung, nur für mich alleine, auf englisch. Das finde ich sehr nett und hole mir im Anschluss noch die Meteorologiehausaufgabe bei Prof. Kolokotsa ab.
Die kleinen Partys am Abend finden jetzt meist auf der Hafenmauer statt. Wir nennen unseren Treffpunkt mittlerweile nur noch "The Wall" und treffen uns fast jeden Abend dort. Außerdem wächst unsere Gemeinschaft stetig. Mariska aus Italien, sechs ERASMUS-Studenten aus Litauen und drei weitere Mädels aus Polen: Magdalena, Monika und Michalina stoßen im Laufe der Woche hinzu. Vasili schmeist an einem Abend eine Hausparty in seiner Wohnung. Wir bringen uns gegenseitig ein paar Trinkspiele bei und vergessen dabei später ganz das Trinken. Außerdem hat er für uns ein paar traditionell griechische Snacks vorbereitet: Chips, Ketchup, Käse, Schinken und Tomaten.
Ich komme an keinem Tag vor 0 Uhr nach Hause. Mittlerweile schon routinemäßig, begebe ich mich auf einen Kontrollgang durch meine Wohnung, wenn ich heimkomme. Dabei schnappe ich mir ein Trinkglas und sammle alle Insekten ein, die größer als eine 1-Cent-Münze sind und befördere sie nach draußen. Darunter sind rießige Kellerasseln, schwarze Monstertausendfüßer und natürlich Spinnen. Heute habe ich etwas sehr schnelles über den Boden rennen sehen. Dann hat es sich versteckt und ich konnte es nicht mehr finden. Keine Ahnung was es war aber es wird sicher wiederkommen.
Freitag. 02.10.2015. Vendetta? Ein sehr spannender Tag ist der Freitag. Das ESN-Team hat eine City-Rallye für uns ERASMUS-Studenten vorbereitet. Wir bilden dafür zwei Teams und bekommen jeweils eine Liste mit Aufgaben. Wir sollen bestimmte Orte finden, Fotos davon machen und Fragen zu den Orten beantworten. Dafür haben wir nicht ganz zwei Stunden Zeit. Der Zeitdruck ist groß und wir arbeiten uns von Station zu Station. Im alten Hafen sollen wir zum Beispiel eine Bar finden, die häufig Treffpunkt für Homosexuelle ist. Der erste ältere Mann, den wir danach Fragen, antwortet mit "A gay-bar on Crete? This is impossible!", "Eine Gay-Bar auf Kreta? Das ist unmöglich!". Später erfahren wir, dass Homosexualität hier bei den älteren Menschen teilweise noch etwas sehr Verpöhntes ist. Wir können die Bar dann mit Hilfe jüngerer Menschen doch noch finden und sie existiert tatsächlich. Außerdem führt uns die Schnitzeljagd an ein von Anarchisten besetztes Haus, das große Stadion, ein türkisches Minarett, das Marinemuseum und die Agora. Obwohl wir wirklich gut waren, war das gegnerische Team etwas besser und bekam schließlich den Preis vom ESN-Team: eine Flasche Ouzo! Ich hoffe die bringen sie mit zur Hafenmauer und teilen sie brüderlich.
Am Abend treffen wir uns erneut mit dem ESN-Team zur Kneipentour. Die örtlichen Studenten führen uns durch die Altstadt und zeigen uns ein paar der besten Kneipen. Wir sitzen vor einer Bar auf einem Platz mit mehreren Kneipen. Eine Menge Leute sitzen hier, reden, trinken und genießen den Abend. Plötzlich gibt es einen lauten Knall. Der Platz verstummt, dann Schreie und wildes Geplauder. Ich sehe wie zwei junge Männer rennend in einer Seitengasse verschwinden. "Was this a shot?". Leute springen auf und vrschwinden in den Bars. Die Situation ist etwas unklar. "Are we in danger?", fragt jemand. Unsere Koordinatoren erwähnen, dass normalerweise nur bei Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten in die Luft geschossen wird. Stefania und Teo (die beiden vom ESN-Team) empfehlen uns, dass es besser sei zu gehen und so verlassen wir den Ort des Geschehens. Sie versichern uns auch, dass sie so etwas auch gerade das erste Mal erlebt haben. Scheint also nicht jeden Tag zu passieren. Verletzt wurde so weit wir das beurteilen konnten niemand. Meine Recherchen im Nachhinein haben ergeben, dass es dieses Jahr Schüsse auf eine Person in der Innenstadt von Chania gab (Link). Ursache sei möglicherweise eine Vendetta, die im Oktober 2011 ihren Ursprung hat.
Hier wird es einfach nie langweilig.